Widerstand durch Poesie

Widerstand. Was bedeutet der eigentlich? Als wir dieses Projekt gestartet haben, hat mich diese Frage nicht mehr losgelassen. Das Erste, woran ich gedacht habe, waren wütende Menschen mit Mistgabeln und Fackeln. Heute denke ich an Menschen, die sich auf die Straße stellen, protestieren und sich für andere einsetzen, die menschenverachtend behandelt werden. Slogans wie „Frau, Leben, Freiheit” oder „Stoppt die Zwangsarbeit” sind uns allen bekannt. Das ist für mich Widerstand. Doch Widerstand ist so viel mehr. Widerstand kann auch Kunst sein: durch Bilder, Videos, Filme oder auch Lyrik.

Das Künstlerische ist für mich dabei sehr besonders. Ich liebe nämlich das Gefühl der innerlichen Wärme, wenn ich etwas Bewegendes sehe oder lese. Denn Bilder oder auch Gedichte sagen so viel aus und durch sie kann man Menschen auf eine ganz andere Art und Weise erreichen. Auch Heinrich Heine zeigte uns als Lyriker und Journalist, dass Kunst auch eine von vielen Arten ist, Widerstand auszuüben. Bis heute findet man Künstler:innen, die ihren Widerstand mit Kunst ausdrücken. 

Esma Adıgüzel. Quelle: Esma Adıgüzel

Eine dieser Personen ist Esma Adıgüzel. Malerei, Poesie und Fotografie sind ein Teil von ihr. „Schon als ich noch ein Kind war, konnte ich mich besser durch Bilder oder künstlerische Aktivitäten ausdrücken.” Esma ist 23 Jahre alt und kommt ursprünglich aus einer kleinen Gegend in der Nähe von Ulm. Momentan studiert sie international Marketing in Slowenien. Während sie erzählt, richtet sie ihre Brille, durch die man ihre blau-grünen Augen strahlen sehen kann. Sie erzählt mit Leidenschaft und Selbstverständlichkeit. Doch was bedeutet Widerstand für sie? Sie hat direkt ein Bild vor ihren Augen: „Hinter mir steht alles, was zerbrechlich ist. Und vor diesen Menschen stehe ich – als eine Art Schutzschild."

Momentan teilt Esma ihre Arbeit auf Social Media, um auf Themen aufmerksam zu machen, die für sie wichtig sind. Dabei setzt sie einen besonderen Fokus auf unterdrückte Völker, wie zum Beispiel Palästina oder Kongo. Sie postet eigenen Content auf Instagram und TikTok, kommt ins Gespräch mit ihrer Community und versucht, durch das Teilen ihre Follower:innen aufzuklären, was gerade in diesen Ländern passiert: Genozide, Leid und Unterdrückung. Wenn sie die Möglichkeit dazu hat, sieht man sie auch auf Protesten. 

Hier in Deutschland versucht Esma vor allem auf die Unterrepräsentation von Migrant:innen und Rassismus aufmerksam zu machen. Als Hijab-tragende Frau kriegt sie Rassismus auch am eigenen Leib mit. Sie selbst habe noch nicht viel Negatives erlebt, doch in ihrer Umgebung widerfährt vielen Menschen Alltagsrassismus.  „Bevor ich mich an meine Werke setze, suche ich mir ein Problem aus, das mich schon länger beschäftigt. Als Beispiel: Schulen.  Es gibt zum Beispiel zu wenige migrantische Lehrkräfte. Durch meinen eigenen Migrationshintergrund kann ich mich mit dem Thema gut identifizieren und schreibe darüber, um dieses Problem auch anderen Menschen näherzubringen”, erzählt sie.

Doch sie schreibe ihre Gedichte nicht mit der Intention, Widerstand zu leisten: „Ich fühle extrem, ich nehme die Außenwelt sehr stark wahr und verarbeite alles durch das Aufschreiben, Journalen und meine Gedichte", erzählt sie. Esma gehört zu den Menschen, die ihre Umgebung intensiv wahrnehmen. Das Schreiben von Lyrik ist noch nicht lange ein Teil ihres Lebens– doch alle Dinge haben ihren Anfang. Das Schreiben hat für sie als eine Art Selbstreflexion angefangen: „Ich hatte zu  der Zeit eine ganz verzerrte Wahrnehmung von meinem Selbstwert, die negative Auswirkungen darauf hatten, wie ich mit mir selbst umgegangen bin”. Um aus dieser Phase zu wachsen, hat sie angefangen zu schreiben. Mit kleinen „Affirmations of the day”, die man bis heute auf ihrem Instagram-Account findet, gibt Esma sich selbst Komplimente – und hat damit auch eine gesündere Wahrnehmung entwickelt. Es gibt dazu auch eine Geschichte, die mir Esma erzählt hat. Die Geschichte besagt, dass wir einen bösen und einen guten Wolf in uns tragen, die wir füttern. Wird der böse Wolf mit negativen Gedanken gefüttert, übernimmt er die Gedanken und lässt sie stärker und stärker werden.

Poems For The Soul, ein Werk aus Kunst und Poesie. Quelle: Esma Adıgüzel

„Mir ist es wichtig, nicht nur über meine eigenen Erfahrungen zu schreiben, sondern auch über Menschen, die mir nah stehen, denn auch ihre Sorgen muss ich irgendwie verarbeiten. Meine Werke sind Beobachtungen, Gefühle und Geschichten von mir und anderen Menschen. Es soll nicht nur mich befreien, sondern auch in den Leser:innen etwas auslösen.”

Die Gedichte von Esma geben mir genau das Gefühl, das ich an der Kunst liebe – ihre Gedichte bewegen mich. Im letzten Jahr hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht: „Poems For The Soul“. Ein Werk aus Kunst und Poesie. Esma erzählt darin von ihren Gefühlen, persönlichen Erfahrungen, Liebe und Freundschaft. Jedes Gedicht ist bebildert mit Esmas Zeichnungen. Ihr Buch spiegelt einen Eindruck ihrer Persönlichkeit wider: Liebevoll und, wie ich finde, sehr inspirierend.

Autorin: Sila Noyan