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So leisten Belarus:innen im Exil Widerstand gegen Lukaschenko

Aktualisiert: 29. Jan.

2020 sind die Belarus:innen auf die Straße gegangen und haben friedlich gegen ihren Präsidenten Lukaschenko protestiert. Er reagierte mit Polizeigewalt und ließ den Widerstand verstummen. Doch im Exil sind seine Gegner lauter denn je.

Die Proteste in Belarus sind weiß-rot gefärbt. Es sind die Farben des Widerstands. Quelle: unsplash/Liza Poor

Lukaschenkos Strategie ist aufgegangen. Er hat es geschafft, dass der Widerstand leiser geworden ist. „Die Zeit der Proteste in Belarus ist vorbei“, sagt Alexander Moisseenko. Seit 2020 ist er Mitglied der belarusischen Gemeinschaft Razam in Deutschland und tritt in die Fußstapfen seiner Eltern, die sich in den 90er Jahren in der Opposition in Belarus engagiert haben. Der Verein setzt sich für die Interessen aller Belarus:innen in Deutschland ein.


2020 sind die Menschen in der Heimat von Moisseenkos Eltern auf die Straßen gegangen und haben friedlich gegen den belarusischen Präsidenten Alexander Lukaschenko protestiert. Es war die größte Protestwelle in der Geschichte des Landes. Die Hunderttausenden Protestierenden von damals werfen ihm bis heute vor, dass er die Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren manipuliert habe.

Swetlana Tichanowskaja trat damals gegen Lukaschenko an. In Wahllokalen, in denen die Auszählung frei zu beobachten war, lag sie vor ihm. Mittlerweile lebt sie im Exil und wurde von Lukaschenkos Regime im März 2023 wegen Hochverrat und Verschwörung zur Machtergreifung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Lukaschenko ist es gelungen, seine Gegner mit Polizeigewalt und willkürlichen Anklagen zum Schweigen zu bringen.


Der Widerstand in Belarus ist deshalb drei Jahre nach den Protesten leise. Er äußert sich durch die tägliche Beschaffung von unabhängiger Information, dem mentalen Widerstand gegen die Propaganda, den Boykott von staatlich verordneten Veranstaltungen und die Unterstützung von Repressionsopfern. Politische Gefangene greifen zu anderen Methoden. Sie treten in den Hungerstreik und Frauen tragen bei Gerichtsverhandlungen auffällig roten Lippenstift. Die Farbe Rot ist gemeinsam mit Weiß von besonderer Bedeutung. Sie sind die Farben des Widerstands in Belarus.


Spenden gehen direkt an die Familien von politisch Gefangenen


Im Zuge der Proteste ließ der Diktator 33.000 Menschen verhaften. Nicht alle wurden wieder entlassen. Moisseenko setzt sich hier in Deutschland gemeinsam mit Razam für die Gefangenen ein. „Wir sammeln Spenden. Das Geld geht direkt an die Familien in Belarus“, sagt der Aktivist, der in Deutschland geborene Student. Er berichtet stolz, dass Razam bereits 330 politisch inhaftierten Personen helfen konnte. Im Dezember 2023 sitzen laut der Menschenrechtsorganisation Dissidentby 1659 politische Inhaftierte in belarusischen Gefängnissen – darunter 183 Frauen und sechs Minderjährige. Seit 2020 werden im Durchschnitt täglich 17 Personen willkürlich festgenommen.

Politisch Inhaftiert:innen wird das Leben im Gefängnis besonders schwer gemacht. Die Zellen sind kalt und unbequem. Die medizinische Versorgung ist schlecht und manche Gefangene werden sogar verprügelt. Besuche, Anrufe oder Briefverkehr sind verboten.


In Belarus gehen die Menschen 2020 auf die Straßen, um gegen Lukaschenko und sein Regime zu protestieren. Quelle: unsplash/Andrew Keymaster

Das Lukaschenko-Regime habe ein „Klima der Angst“ geschaffen, sagt die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen, Anais Marin. Neben den zahlreichen Festnahmen habe die belarusische Regierung mehr als 1600 unerwünschte Organisationen aufgelöst. Oppositionelle Medien wurden verboten und als extremistisch eingestuft. Der beliebten Nachrichtenseite tut.by wurde die Lizenz entzogen. Reporter Ohne Grenzen berichtet davon, dass hunderte Medienschaffende vorübergehend festgenommen und einige zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Zusätzlich verloren ausländische Korrespondent:innen im Oktober 2020 ihre Akkreditierungen.


Razam von Lukaschenko-Regime als extremistisch eingestuft


„In Belarus ist es sehr gefährlich, sich unabhängig zu informieren. Wer erwischt wird, muss damit rechnen, verhaftet zu werden. Deshalb nutzen viele Menschen eine VPN-Verbindung“, sagt Moisseenko. Auch Ilya N. (Name v. d. Red. geändert) ist vorsichtig. Er lebt seit drei Jahren in Deutschland, um Maschinenbau zu studieren. “Ich benutze ausschließlich Telegram, weil ich weiß, dass das, was ich mache, Folgen für meine Familie in Belarus haben kann”, sagt er. Telegram ist unter Belarus:innen beliebt, weil es sicherer als zum Beispiel WhatsApp ist. Jedes Abo auf Telegram oder Instagram könnte Folgen für ihn und seine Familie haben. Wer Razam folge, müsse in Belarus mit einer Verhaftung rechnen, sagt Moissenko. Die Organisation wurde als extremistisch eingestuft.

Moisseenko bestätigt: „Es ist schon passiert, dass auf Familien von Exilprotestierenden Druck ausgeübt wurde.“ Manche Webseiten wurden komplett gesperrt. Andere Plattformen wie YouTube sind in der Theorie uneingeschränkt nutzbar. In der Praxis kann jedes Abo und jeder Like einen Besuch der Polizei zur Folge haben. Viele informieren sich wie auch Ilya N. über Telegram. „Über den Messengerdienst können Exilmedien weiterhin Menschen in Belarus erreichen. Ihre Arbeit ist deshalb auch aus dem Ausland unheimlich wertvoll“, sagt Moisseenko.


Das Auswärtige Amt unterstützt gemeinsam mit Razam die Ausbildung von Exiljournalist:innen in Deutschland, damit sie die Belarus:innen bestmöglich informieren können.


Doch die Arbeit von Razam beschränkt sich nicht nur darauf, Spenden zu sammeln. Seit 2020 sind schätzungsweise 500.000 Menschen aus Belarus geflohen. Viele machten sich auf den Weg ins Nachbarland Polen. Die Sprache dort zu lernen, sei für Belarus:innen nicht schwer, erklärt Ilya N.: „Ich habe viele Freunde von zu Hause, die in Polen leben.“


Deutsche Botschaft stellt monatlich 4.000 Visa an Belarus:innen aus


Nach Schätzungen leben mittlerweile auch um die 30.000 Belarus:innen in Deutschland. Die Deutsche Botschaft in Minsk arbeitet auf Hochtouren und stellt monatlich 4.000 Visa aus. Razam setzt sich für sie hier in Deutschland ein. Sie helfen Geflüchteten bei und nach ihrer Ankunft. „Sollten sie keine Sozialleistungen erhalten, greifen wir auch ihnen finanziell unter die Arme“, sagt Moisseenko. Außerdem stehen die Mitglieder des Vereins im engen Austausch mit der deutschen Politik.


Das gute Verhältnis zeichnete sich erst jüngst wieder aus, als die Bundesregierung auf Anfrage von Razam zustimmte, Reisepässe für Ausländer auszustellen. „Belarus stellt keine Reisepässe mehr außerhalb von Belarus aus“, berichtet Moisseenko. Das ist ein Problem, weil Geflüchtete in Deutschland einen gültigen Pass für eine Aufenthaltserlaubnis brauchen. Moisseenko erklärt: „Das Lukaschenko-Regime will damit erreichen, dass Exilprotestierende für einen neuen Pass zurück nach Belarus kommen. Doch das wäre hochriskant, weil ihnen dort eine Verhaftung drohen würde.“


Dass Razam die Bundesregierung davon überzeugen konnte, zeigt, wie wichtig die politische Lobbyarbeit des Vereins ist. „Wir wollen westliche Politiker für die Situation in Belarus sensibilisieren. Das ist wichtig, denn die Aufmerksamkeit Europas liegt seit dem russischen Angriffskrieg auf der Ukraine“, betont Moisseenko.


Auch wenn die Repressionen des Regimes dafür gesorgt haben, dass der Widerstand in Belarus verstummt, hören Belarus:innen im Exil nicht auf, sich zu wehren. Es sei zwar nicht abzuschätzen, wann Belarus wieder ein demokratisches Land sein werde, doch das hält Razam und Moisseenko nicht auf. Er beteuert: „Wir lassen uns nicht unterkriegen und kämpfen weiter für die Freiheit aller Belarusen.“


Autor: Felix Poser


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