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Plakative Kritik

Im Zugabteil ist ein Plakat der Deutschen Bahn zu sehen: „Maske vergessen? Dann müssen Sie jetzt dieses WC mit Ihrer Zunge reinigen.” Keine Sorge, die Deutsche Bahn hat niemanden dazu gezwungen, die Toilette tatsächlich zu lecken, selbst wenn die Maskenpflicht nicht eingehalten wurde. Bei dem Aushang handelt es sich um eine Protestform, bekannt als „Adbusting“.


Ein Mitglied der Künstlergruppe DIES IRAE beim Anbringen einer ihrer Plakate. Quelle: DIES IRAE

Egal wo, egal wann. Sie ist unser täglicher Begleiter – die Werbung. Diese omnipräsente Werbelandschaft betrachten Aktivist:innen als problematisch. Die Kritik ihrer Aktionen richtet sich größtenteils gegen große Konzerne, Parteien und gegen das Konsumverhalten, das durch Werbeanzeigen gefördert wird. Dabei ist nicht jeder von einer politischen oder antikapitalistischen Motivation angetrieben. Für viele Adbuster:innen ist es vielmehr eine Frage der Ästhetik. Sie nehmen Werbung als „visuelle Umweltverschmutzung“ wahr.


Der Begriff Adbusting, abgeleitet von den englischen Wörtern „advertising“ (Werbung) und „to bust“ (stören, kaputt machen), bezeichnet die absichtliche Veränderung von Werbeinhalten. Adbuster:innen setzen dabei eine Vielzahl kreativer Techniken ein. Drei der am weitesten verbreiteten Methoden sind das Faken, Sniping und Subvertising. Faken bezieht sich auf die Verfremdung von Werbung, indem die Zuordnung von Produzent:in und Text gezielt verändert wird, um alternative Perspektiven zu präsentieren. Sniping umfasst die gezielte Veränderung, Kommentierung oder Korrektur von Aussagen auf Plakaten, wie beispielsweise die Manipulation von Wahlplakaten. Subvertising hingegen beschreibt die Erstellung von Parodien oder Verfremdungen von Unternehmens- und politischer Werbung, um alternative Botschaften zu vermitteln. Wenn die Aktivist:innen also die Reinigung der Bahntoilette mit der Zunge vorschlagen, ist das Subvertising.


„Es macht einfach Spaß, an der Fassade der unrealistischen Werbewelt zu kratzen und sie zu demaskieren.“ – Patrick, Adbuster und Sprecher von DIES IRAE

 Protestgruppe DIES IRAE


In einem Zugabteil der Deutschen Bahn fällt der Blick auf ein provokantes Plakat der Künstlergruppe DIES IRAE. Quelle: DIES IRAE

Die Protestgruppe DIES IRAE ist der Urheber dieser Aktion und besteht seit 2013. Die genaue Teilnehmerzahl ist unbekannt. Der lose Zusammenschluss von Adbuster:innen agiert im ganzen Land. Bilder ihrer modifizierten Plakate teilen sie auf Instagram mit ihren 13,3 Tausend Followern. „DIES IRAE“ steht für Tag des Zorns und das Jüngste Gericht. Der Name der Gruppe ist Programm. Sie richten über politische Missstände und Werbeplakate, die sie als verlogen wahrnehmen. Man könnte sagen, sie helfen dem Jüngsten Gericht dabei, auf die „Sünder“ aufmerksam zu werden: „Das Jüngste Gericht hätte viel Arbeit, und wir wollen mit unseren Aktionen dazu beitragen, dass bestimmte Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten. Wir hoffen stark, dass die Rechtspflege des Jüngsten Gerichts unseren Insta-Feed auf dem Schirm hat.“

Welche Themen oder Plakate als Nächstes in den Fokus der Gruppe fallen, entscheidet sich spontan, meint Patrick, Sprecher der Gruppe: „In der Regel führt ein Ereignis aus den Medien dazu, dass wir einen Missstand verarbeiten wollen. Wer kennt das nicht: Du öffnest die Zeitung, liest Nachrichten und könntest kotzen.” Was treibt sie an? Besonders würden sie innenpolitische Konflikte beschäftigen, verlogene Werbeplakate würden sie nicht unkommentiert lassen wollen.


Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?


Um ein Plakat anzubringen, müssen die Protestler sich teilweise Zugang zu einem Plakatreiter verschaffen, also die Vorrichtung, an der die Plakate befestigt sind. Nach Patricks Erfahrung sollten diejenigen, die Plakate weder stehlen noch beschädigen, keine rechtlichen Konsequenzen befürchten müssen. Da die Kritik und die Parodien gerne auch mal unter die Gürtellinie gehen, kann jedoch in Einzelfällen mit Beleidigung oder Verleumdung argumentiert werden.

Im Jahr 2021 verbreitete DIES IRAE Plakate, auf denen Horst Seehofer als Werbegesicht für die „Augenklappe Korpsgeist“ posierte. Die Augenklappe wurde nicht nur als blickdicht beworben, sondern auch als wirksames Mittel gegen Rechtsextremismus. Wie praktisch.

Patrick erinnert sich an die Reaktion der Polizei: „Hier strengte die Polizei eine Strafverfolgung an, die völlig überzogen war. Der Schuss ging nach hinten los, denn so bekam das Plakat noch mehr Aufmerksamkeit.“

Bisher wurde noch kein Mitglied der Gruppe verhaftet, obwohl es Versuche gab. Es seien alle Strafverfolgungen eingestellt worden, entweder weil keine Straftat vorlag, obwohl die Polizei sich Mühe gegeben habe, oder weil die Meinungsfreiheit bedeutsamer gewesen sei als vermeintliche Beleidigungen.


Autorin: Nina Stemmle



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