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Kuhmasken und ziviler Ungehorsam - Der Widerstand von Animal Rebellion

Als Kühe verkleidet, zwängen sie sich auf einen LKW vor der Molkerei Ammerland in Wiefelstede. Sie entfachen Pyrotechnik, die die Luft mit einem markanten blauen Rauch umgibt. In den Händen halten sie ein auffälliges Plakat mit der Aufschrift Pflanzenmilch statt Muttermilch". Es sind Tieraktivist:innen, die festgekettet und festgeklebt auf dem LKW-Dach gegen das bestehende System rebellieren. Ihre Botschaft: Der Wandel der Milchindustrie.


Die Aktivist:innen fordern eine Umstellung auf pflanzliche Milchalternativen. Quelle: ©Hendrik Hassel

Sie nennen sich 'Animal Rebellion' – eine Bewegung, die sich unter anderem für Tierrechte einsetzt. Mit außergewöhnlichen Aktionen wie der Blockade der Molkerei Ammerland sorgen sie für Aufsehen. Ihre Ziele: eine Welt ohne Speziesismus, eine nachhaltigere Umwelt und ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung. Dass manchmal kein Weg daran vorbeiführt, auch gesetzliche Grenzen zu überschreiten, ist für sie selbstverständlich – denn viel Zeit bleibt uns nicht mehr, sagt Philipp, ein Aktivist der Tierrechtsbewegung.


Widerstand gegen grausame Strukturen


Für ihn reiche es nicht mehr, Einzelpersonen zu überzeugen und tatenlos zuzusehen, sagt der 30-Jährige. Er hat sich der Ortsgruppe in Hamburg angeschlossen, um die bisherigen Strukturen in der Landwirtschaft und Fleischindustrie aufzubrechen. Vor seinem Eintritt in Animal Rebellion war er schon aktivistisch und versuchte, Menschen auf der Straße zu überzeugen und zu mobilisieren. Doch er wollte mehr unternehmen: Bei mir hat eine leichte Ohnmacht eingesetzt, dass nicht viel passiert, dass das alles nicht wirksam genug ist.” Das System schade der Gesellschaft, den Ressourcen und fördere den Landverbrauch. Es ist generell ein grausames System, das unsere Lebensgrundlagen zerstört, und da ist es ab einem gewissen Punkt auch legitim, einfach Widerstand zu leisten, oder nicht?”, ergänzt der Tierrechtsaktivist.


Animal Rebellion ist eine britische Tieraktivistenbewegung, die sich auch in Deutschland etabliert hat. Organisiert sind sie in verschiedenen Ortsgruppen. Sie setzen mit kreativen Protestaktionen ein Zeichen gegen die Tierindustrie, die als zentraler Akteur bei der Biodiversitätskrise und der Klimaerwärmung gesehen wird. Im Mittelpunkt ihrer Aktionen stehen die drastischen Auswirkungen der Fleisch-, Milch- und Eierproduktion auf die Umwelt und die Forderung nach einem Wandel zu einer pflanzenbasierten Ernährung. Laut Animal Rebellion schont das nicht nur die Umwelt, sondern auch die Ressourcen würden effizienter genutzt werden. „Es liegt ja nicht nur in der eigenen Verantwortung der Menschen, vegan zu leben. Klar muss die Bevölkerung bereit dafür sein, aber es muss auch der Rahmen geschaffen werden, der es erleichtert und die Landwirtschaft umgebaut wird", meint Philipp.


Für Kristina bedeutet Widerstand, dass Legitimität eine höhere Wertigkeit bekommt als Legalität. Quelle: ©Hendrik Hassel

Ziviler Ungehorsam für radikalen Wandel


Doch die Bewegung konzentriert sich nicht nur auf Tierrechte, sondern führt auch andere Gerechtigkeitskämpfe: Vom Queer-Feminismus zum Antirassismus bis hin zum Umweltaktivismus, wie eine weitere Animal-Rebellion-Aktivistin erzählt: Das bringt alles zusammen – soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Antikapitalismus und auch Klimagerechtigkeit." Kristina hat sich entschlossen, sich neben ihrem Biologiestudium im Aktivismus zu engagieren. Sie plant Aktionen, leitet Kampagnen und nimmt an Blockaden gegen die Tierindustrie teil.


Die Studentin sieht den zivilen Ungehorsam als richtiges Protestmittel, um die Gesellschaft wachzurütteln. “Die Geschichte hat uns ja auch gelehrt, dass ziviler Ungehorsam maximal effektiv ist, wenn es um schnelle und radikale Änderungen im System geht”, sagt sie und verweist auf den Stromzahlungsboykott in den 80er Jahren und den Anti-Castor-Transport. Die Aktivist:innen haben sich tagelang an Schienen gekettet und das waren schon sehr effektive Mittel, um eine kritische Masse zu bewegen und Aufmerksamkeit zu erreichen."


Vom Antifaschismus zum Tieraktivismus


Schon früh hat Kristina angefangen, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Aufgewachsen im sozialen Brennpunkt” in Kasachstan kam sie oft mit Ungerechtigkeiten in Berührung und nahm an antifaschistischen Protesten teil. Zum Tieraktivismus kam sie erst später: Ich bin auf Schlachthausvideos gestoßen und hab mir gedacht: 'Krass, da brauchst du doch eigentlich nur ein bisschen Empathie, um zu sehen, dass das nicht in Ordnung ist.'” Sie fing an, vegetarisch und später vegan zu leben, und überzeugte einzelne Menschen aus ihrem Umfeld auch von dieser Lebensweise.


Durch ihren Umzug nach Oldenburg wurde sie auf Animal Rebellion aufmerksam: Ich habe auf dem Wochenmarkt Aktivist:innen mit Tiermasken gesehen, die mit Pyro auf einem Dach standen", erzählt Kristina. Danach informierte sie sich und nahm am darauffolgenden Samstag an einemPlanungstreffen teil. Und die Woche darauf saß ich vor McDonald's in einem Käfig eingesperrt mit einer Hühnermaske auf", ergänzt sie. Nun ist die 30-jährige Studentin seit mehr als zwei Jahren bei Animal Rebellion in der Ortsgruppe Oldenburg aktiv.


Zwischen Klimadepression und Ermutigung


Doch dass auch sie an ihre Grenzen kommt, macht Kristina deutlich: Ich war schon oft an einem Punkt, an dem ich dachte, Menschheit, du bist verloren." Besonders die Reaktionen bei den Protesten lösen bei der 30-jährigen Verzweiflung aus. Manchmal frage ich mich, ist es wirklich noch so wichtig, sich für die Menschen einzusetzen, oder ist es nicht vielleicht besser, wenn diese Klimakatastrophe kommt und dem Ganzen endlich ein Ende macht, damit sich die Natur erholen kann, damit sich die Tiere erholen können?"


Doch laut der Aktivistin bringt es nichts, sich in die Aussichtslosigkeit, die der Aktivismus manchmal mit sich bringe, reinzusteigern" – Kristina nennt es Klimadepression. Das muss man einfach bewältigen und sich gegenseitig ermutigen, gemeinsam weiterzukämpfen", sagt sie. Aufzugeben sei für sie keine Option. Denn das Ziel einer Welt, in der Umwelt und Tiere respektiert und geschützt werden und in der eine gerechte, nachhaltige Gesellschaft für alle existiert, motiviert sie und gibt ihr Hoffnung.


Autorin: Marie-Louise Zein

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