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Kreuz aus Trotz, der Haken unsichtbar

Oktober 2023, Landtagswahlen. Neben der CDU/CSU feiert sich auch die Alternative für Deutschland (AfD) als Sieger: 18,4 Prozent (+5,3) in Hessen und 14,6 Prozent (+4,4) in Bayern. “Das ist ein Rekordergebnis für uns”, sagt Alice Weidel gegenüber der Tagesschau. Was viele AfD-Wähler:innen nicht wissen - Sie sind diejenigen, die unter einer Regierung der in Teilen rechtsextremen Partei am meisten leiden würden.


Quelle: Unsplash.com/Mika Baumeister

Dieses AfD-Paradox wurde vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) Berlin in einer Studie untersucht und zeigt: Die Kluft zwischen den Interessen und Bedürfnissen der Wähler:innen und den Positionen der Partei ist tief. Denn während die Wähler:innenschaft der rechten Partei “überdurchschnittlich häufig” aus Arbeiter:innen, Arbeitslosen und Menschen mit eher geringer bis mittelhoher Bildung besteht, ist die extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik der AfD vor allem auf Spitzenverdiener:innen ausgerichtet: gegen eine Besteuerung großer Vermögen und für eine Senkung der Erbschaftssteuer und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Besserverdienende. Zudem fordert die Partei starke Einschnitte bei den Sozialleistungen, setzt sich gegen die Stärkung von Mieterrechten ein und stimmte beispielsweise 2021 gegen die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Und das, obwohl laut BR24 Wahlanalyse Erwerbspersonen, die die AfD wählen wollen, deutlich häufiger als der Durchschnitt von problematischen Arbeitsbedingungen und mangelnder Anerkennung im Job berichten. 


Wie kommt die rechte Partei zu ihrem Erfolg? 

Die Wahlanalyse stellt fest: 46 Prozent der AfD-Anhänger:innen geben an, die Partei aus Protest und Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt zu haben. Eine Form des Widerstands? Immerhin 80.000 der Grünen-, FDP- und SPD-Wähler setzten laut einer Erhebung des infratest dimap Umfrageinstituts ihr Kreuz bei der bayerischen Landtagswahl bei der AfD. Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung stellt außerdem Ähnlichkeiten zwischen Neu- und Stammwählenden fest: große Sorgen, extrem starkes Misstrauen gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, eine kritische Sicht auf Migration (inklusive Umgang mit den ukrainischen Geflüchteten) und die Priorität einer Zuwanderungsbeschränkung. 


Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

Stimmenfänger Migration und Unzufriedenheit


Ist das Thema Migration die Mutter aller Stimmen? Wohl kaum. Zwar gaben rund 55 Prozent der bayerischen AfD-Wähler:innen an, dass Zuwanderung bei ihrer Wahlentscheidung die größte Rolle spielte. Auch der BR24 BayernTrend (September 2023) ermittelte die Migration als wichtigstes Anliegen der Bürger im Freistaat. Entscheidender ist laut DeutschlandTrend extra trotzdem, dass die AfD Themen adressiert, die deutliche Mehrheiten der Bevölkerung beschäftigen würden - und für die viele Menschen offenbar bei anderen Parteien zu wenig Verständnis fänden. Missstände wie mangelnde Infrastruktur oder fehlender bezahlbarer Wohnraum können Spannungen zwischen einheimischen und zugewanderten Personen fördern und Misstrauen in demokratische Institutionen verstärken, zeigt die Studie des WSI. Das sind Missstände, von denen die Wähler:innen der Alternativen von Deutschland unmittelbar betroffen sind: In derselben Untersuchung wird festgehalten, dass anteilig mehr Männer, Ostdeutsche und Personen ohne Abitur mit der AfD sympathisieren. Überdurchschnittlich vertreten sind auch Menschen mit geringem bis mittlerem Einkommen zwischen 30 und 49 Jahren sowie Eltern. Nur 6 Prozent der AfD-Wähler:innen geben an, Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien zu haben, bei der Bundesregierung sind es nur 2,8 Prozent. Zum Vergleich: Bei den Sympathisierenden anderer Parteien sind es 38 Prozent, die den öffentlich-rechtlichen Medien und 21 Prozent, die der Bundesregierung vertrauen.


Menschen, die die AfD wählen, sind nicht mehr nur Nazis. Sondern: Tanten, Arbeitskollegen, Nachbar-Opis und der Herr Doktor, der ab und  an ein Video der rechten Alternativpartei auf Facebook mit “Gefällt mir” markiert. Es ist das rechte Gedankengut, wofür die Partei steht - und womit sie Anklang in der Bevölkerung findet. Die Studie von DeutschlandTrend extra ergab, dass 27 Prozent der AfD-Anhänger:innen sich als rechtsextrem einordnen ließen, weitere 25 Prozent als ausgeprägt rechts. “In Teilen der Gesellschaft haben sich bestimmte Positionen etabliert, die nicht hinnehmbar und mit demokratischen Prinzipien unvereinbar sind”, sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das stimmt. Denn: Ganzen 80 Prozent der AfD-Anhänger:innen ist es egal, dass die Partei in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht. “Jede Wählerin und jeder Wähler übernimmt Verantwortung für das, was sie tun”, sagte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview, “Und wenn sie eine Partei stärken, die zur Verrohung der Auseinandersetzung beiträgt, dann ist das auch die Verantwortung eines mündigen Bürgers.” 


Autorin: Nina Schermal


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