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„Die Welt geht halt wirklich vor die Hunde“


Quelle: Pixabay.com

Die Welt in ihren Werten verändern, die Welt in ihrer Struktur verändern. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Das fordern Johanna und Rami. Beide sind Aktivistinnen, politisch engagiert und aktiv. Beide kommen aus dem linken Spektrum. Ihr Ziel: Der Sozialismus. Ihr Weg: So verschieden.


Aber mal ganz von vorne. Mit der Französischen Revolution und dem Anfang der Industrialisierung veränderte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts langsam die Gesellschaft in Europa. Das Bürgertum profitierte vom wirtschaftlichen und technischen Fortschritt, die Arbeiterklasse wurde schonungslos ausgebeutet. Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne waren an der Tagesordnung.






„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"


Als Reaktion auf dieses Problem veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels 1848 das Manifest der Kommunistischen Partei. Darin bemängeln Marx und Engels die Spaltung der Zivilgesellschaft in Arm und Reich und kritisieren den Kapitalismus. “Ihr Ziel:” Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Die Grundsteine der sozialistischen Idee sind gelegt. Sozialismus bedeutet, dass die Lenkung und Planung der Wirtschaft vom Staat zentral durchgeführt werden. Außerdem die Aufteilung von Privateigentum auf alle. Kurz gesagt, das Ende des Kapitalismus.


Zurück in die Gegenwart


Bei uns in Deutschland gibt es keinen Sozialismus, im Gegenteil. Es herrscht der Kapitalismus. Seit den 50er Jahren wächst die Wirtschaft, scheinbar ins Unermessliche. Sie ist der Grund unseres Wohlstands. Das Streben nach technischem Fortschritt und Profiten ist sogar in vermeintlich sozialistischen Staaten wie China angekommen. Faktisch allerdings kann die Wirtschaft nicht ins Unendliche wachsen. Die Welt und ihre Ressourcen sind begrenzt. Davor hat die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vom „Club of Rome“ - eine Vereinigung von Politikern und Wissenschaftlern, mit dem Ziel, die anstehenden Probleme der Menschheit zu veranschaulichen - bereits 1972 gewarnt.


„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ – (Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972).


Und wie soll es bitte weitergehen?


Genau damit beschäftigen sich Johanna und Rami auch. So wie es grade ist, kann es jedenfalls nicht bleiben, da sind sich die beiden einig. Sie werden aktiv: Johanna ist Anhängerin und Mitarbeiterin der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands. Die Partei sieht sich selbst als die radikal linke und revolutionäre Alternative zu allen anderen deutschen Parteien. Wegen ihrer Ansichten wird die MLPD sowohl vom Bundesverfassungsschutz, als auch dem Amt für Verfassungsschutz in Thüringen beobachtet. Johanna selbst ist überzeugt von der Partei. Sie kritisiere nicht nur den Kapitalismus, sondern strebe auch eine „Diktatur des Proletariats“ an. „Alle schrecken immer zusammen bei dem Wort Diktatur, dabei ist es in dem Fall gar nicht so schlimm“, meint Johanna. Schließlich regiere ja dann kein Einzelner mehr, sondern wir, das Volk. Um das zu erreichen, lehren und bilden sie, veranstalten Kundgebungen. Die Partei stelle der Arbeiterklasse und den Volksmassen ihr Know-how für den Klassenkampf zur Verfügung. Wenn es sein müsse – sagt Johanna – dann stünden sie und ihre Genoss:innen auch vor den Drehkreuzen der Betriebe und fingen die Arbeiter ab, um zu informieren. „Systematische Kleinarbeit“, so nennt sie das. „Die Arbeiterklasse für sich gewinnen.“ Sie strebe zwar nach einer sozialistischen Revolution, die Zeit müsse diese Bedingungen aber herbeiführen. Einen Putsch und damit einhergehende Gewalt lehnt sie ab.


Johanna selbst hat eine Zeit lang studiert und wollte Lehrerin werden. Irgendwie war es aber nicht das Richtige für sie. In dieser Zeit fängt sie an, sich mit den Lehren und der Ideologie des Sozialismus auseinanderzusetzen, findet Gefallen an der Idee. Die Arbeit für die MLPD hat sie begonnen um „praktisch zu handeln“ und nicht nur „theoretisch zu denken“. Oder, wie Johanna meint, „Das Hobby zum Beruf gemacht.“


Ähnliche Überzeugung - anderer Weg


„Die Welt geht halt wirklich vor die Hunde.“ Rami wirkt nachdenklich. Jemen und der Nahe Osten, Palästina und allgemein der globale Süden, „die Herrschenden interessiert es nicht", meint sie. Was da überall auf der Welt passiere - und alle würden nur zusehen. Rami ist Anhängerin von “Onesolutionrevolution”. Einer kommunistischen Jugendorganisation. Sie halten Plena und setzen sich mit der aktuellen gesellschaftlichen Lage auseinander, außerdem entwickeln sie politische Haltungen. Die Gruppe um Rami organisiert Demos, schreibt Reden und entwirft Flyer. Sie sind der Meinung: Um die Macht und den Reichtum der herrschenden Klasse zu brechen, bedürfe es einer kollektiven Aktion der Massen. Einer Revolution. Anders als Johanna, die einen Putsch strikt ablehnt, steht Rami hinter der Idee. „So wenig Gewalt wie möglich, so viel wie nötig“, aber eben nicht warten bis die Zeit die Bedingungen für eine sozialistische Gesellschaft herbeiführt. Das Ruder selbst in die Hand nehmen.

Rami hat sich schon immer für Politik interessiert, ihre Ideologie hat sie sich aus dem Internet, durch Social-Media und Musik angeeignet. Vor allem durch Punkmusik erzählt sie. Diese sei in ihrer Art schon links. Als sie ihren Wohnort wechselt, schaut sie sich nach einem politischen Angebot um, kommt auf die Organisation.


„Es wird extrem viel Bullshit produziert“


Die politische Lage allein treibt sie nicht an. Zurück zum „unendlichen Wachstum“ in den Grenzen unserer Erde. „Irgendwann gibt es eine Krise und wir steuern darauf zu“, sagt Rami voraus. „Was soll noch passieren?“ Alles würde dem Wachstum untergeordnet werden. Das Klima, Kriege: „Und die sind ja sogar noch gut für die Wirtschaft!“ Dann holt Rami richtig aus, „Ich finde die aktuelle Regierung scheiße und ich finde auch die Grünen scheiße.“ Sie seien Heuchler, die Grünen. Die Regierung selbst aber nicht Schuld an der Situation – ihre Aufgabe sei es nur zu schauen, dass es dem Kapital gut gehe, dass die Funktion erfüllt würde. Die Regierung zu ändern würde nichts bringen, das System sei einfach das Falsche.


Ein Stück Utopie


Aber wie sieht das richtige System dann aus? So ganz genau können das Johanna und Rami beide nicht sagen. Vorstellungen haben sie trotzdem.

Ein Räte-System aus Delegierten solle regieren, findet Johanna. Diese Delegierten kämen aus den Betrieben, aus der Gemeinschaft. Durchaus demokratisch. Rami ist der Meinung, dass sich die Familienstruktur ändern muss. Die Hausarbeit müsse vergesellschaftet werden. Damit meint sie, dass Aufgaben, die im Haushalt anfallen, von der Gesellschaft getragen werden sollten. Es solle zum Beispiel kommunale Kantinen mit günstigen Preisen geben schlägt Rami vor, dann müsste die Frau nicht in der Küche stehen und kochen. Außerdem solle nur noch das produziert werden, was auch wirklich gebraucht würde, finden beide. Oder wie Rami sagt: „Die Bedürfnisse der Leute, nicht des Profits müssen gedeckt werden“. Das bedeute auch weniger Arbeit, mehr Freizeit und vor allem „mehr verschiedene Tätigkeiten“, kein „lebenslanges rumhängen“ mehr in einem Job.


Was die beiden sich erhoffen mag nobel klingen, das Ergebnis ist es vielleicht wert, dafür zu kämpfen. Dennoch, was Rami hier vorschlägt: Eine Revolution, ein Umbruch - wenn nötig mit Gewalt - ist absolut undemokratisch. Es wird immer Dinge geben, die politisch oder gesellschaftlich nicht gut laufen. Diese sind verbesserungswürdig. Die Probleme aber nur anzuprangern, ohne Lösungen zu bieten, schürt auf Dauer nur Missgunst. In Zeiten wie diesen sollte die Menschheit zusammenhalten, gemeinsame Ziele entwickeln und den Weg dann gemeinsam beschreiten. Ob Ramis und Johannas Traum einer sozialistischen Gesellschaft also Wunschdenken oder Zukunft sein wird, bleibt abzuwarten.


Ramis Name wurde für diesen Beitrag redaktionell geändert.


Autor: Dominik Strothotte



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