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"Das Problem ist, dass Studierende nicht ernst genommen werden"

Schlechtes Mensaessen, hohe Mietpreise, Bafög oder das immer teurer werdende Semesterticket: In Zeiten der Inflation haben Studierende mit immer größer werdenden Widrigkeiten zu kämpfen, die oft finanzieller Natur sind. Doch was dagegen tun? Der 32-jährige Sascha Wellmann hat einen Weg gefunden - seit sechs Jahren setzt sich der h_da-Student für die Interessen von Studierenden ein, gründete die Linke Liste und sitzt im Vorstand des Freien Zusammenschluss von Student:innenschaften. Im Interview spricht er über die dringende Notwendigkeit von studentischem Widerstand, politische Auseinandersetzungen, Hörsaalbesetzungen und über die “Nerdigkeit”, die es in der Szene des Studierendenparlaments gibt. 


Für viele nur ein Ort der Lehre, für Sascha Wellmann auch ein Ort des studentischen Widerstands: Der Hörsaal. Quelle: Pixabay.com

Ist studentischer Widerstand notwendig?   


Ja, unbedingt. Es gibt zum Beispiel Statistiken dazu, wie die existenzielle und finanzielle Lage der Studierenden ist. Es steht total viel für uns als Generation und als Gesellschaft auf dem Spiel. Da braucht es unbedingt eine Intervention und ein Verhalten dazu, im besten Fall eben Widerstand. 


Als Student:in gibt es zurzeit viele, vor allem finanzielle Probleme, die auf einen zukommen können. Wünscht du dir mehr studentischen Aktivismus an den Hochschulen, frei nach dem Motto “machen statt meckern”?


Auf jeden Fall! Ich habe in der Vergangenheit durch meine bundespolitische Arbeit die Erfahrung gemacht, dass es vielerorts politischer als bei uns in Darmstadt zugeht. Es gibt so viele Themen, die wirklich nur auf Studierende zutreffen, wie beispielsweise Bafög oder das Semesterticket. Aber es gibt auch ganz viele Themen in der Gesellschaft, die auch Studierende betreffen, aber eben nicht nur. Zum Beispiel Armut oder Wohnungsnot. Das sind allgemeinpolitische Themen, zu denen sich Studierende verhalten können und auch verhalten sollten. Ich finde es total falsch, da Abgrenzungen zu machen und zu denken: “Das eine ist Universität und das andere ist Gesellschaft." So funktioniert Gesellschaft nicht. Gesellschaftliche Phänomene, wie zum Beispiel Armut, werden an Hochschulen erforscht, deswegen gibt es da ganz klar den Bezug und den Wunsch, dass sich Studierende allgemein politisch verhalten und Hochschulen als Ort wahrnehmen, die nicht nur der Berufsqualifizierung dienen. 


Du setzt dich schon seit über anderthalb Jahren für die Interessen der Studierenden ein. Wie oft passiert es, dass man im studentischen Widerstand auch mal in einen Konflikt gerät? 


Zum Beispiel bei der Hochschulfinanzierung, Bafög oder dem Semesterticket. Dann ist es meistens so - egal ob Hochschule, Bundesland oder die Regierung - alle haben nicht genug Geld. Dann eckt man zwangsläufig bei den Leuten an, die unsere Forderung ausführen müssen. Zum Beispiel bei unserem Hochschulpräsidium, das nur begrenzte Mittel und Möglichkeiten hat und damit haushalten und wirtschaften muss. Wenn man dem widerspricht, gerät man mit der Hochschule in einen Konflikt. Unter den Leuten, die sich engagieren, gibt es auch eine politische Ebene, an der man aneckt. Wenn jemand sagt, dass er gerne einen Schwerpunkt auf Klimaschutz und Klimagerechtigkeit legen würde und andere Leute sagen, dass das doch egal ist und die einen Schwerpunkt auf ein günstiges Rumpsteak in der Mensa setzen wollen. Das sind am Ende politische Sachen, mit denen man sich dann auch untereinander auseinandersetzt. 


Du hast an der h_da die Linke Liste gegründet und sitzt im Vorstand des Freien Zusammenschluss von Student:innenschaften (fzs), der sich bundesweit für studentische Interessen einsetzt. Woher kommt deine Motivation, sich auch auf der Bundesebene für die Interessen von Studierenden einzusetzen? 


Mir geht es grundsätzlich darum, dazu beizutragen, dass sich die Leute kritisch mit ihren Gegebenheiten auseinandersetzen und auch darum, Verhältnisse zu verbessern. Zum Beispiel, dass mehr Leute die Möglichkeit haben, an eine Universität zu gehen und auch, dass die Qualität der Lehre zunimmt. Das sind allerdings alles Utopien, die unter den Gegebenheiten, die unter dem Einfluss von Politik und Wirtschaft herrschen, oft nur schwer zu erreichen sind. 


Gibt es Unterschiede zwischen deiner Arbeit im Studierendenparlament an der h_da und der bundesweiten Arbeit beim fzs?


Es ist schon was anderes, wenn man als Parlamentarier vor Ort im Studierendenparlament aktiv ist, als in einer bundesweit arbeitenden Organisation im Vorstand aktiv zu sein. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Bildung Ländersache ist. Dementsprechend ist es über die Bundesländer hinweg sehr unterschiedlich, was die Gegebenheiten angeht. Es gibt auch allgemeine Phänomene, die dann bundesweit, europaweit oder auch weltweit recht ähnlich sind. Es gibt immer Spezifika, die auf das jeweilige Bundesland gelten, bis hin zu Dingen, die dann überall wieder sehr ähnlich sind. 


Aus welchen Leuten setzt sich das Gremium des Studierendenparlaments zusammen?


Ob sich lokal engagiert wird, bundesweit oder europäisch: Die Leute sind schon irgendwie in dem Sinne Nerds, dass sie das Interesse haben, sich tiefergehend damit zu beschäftigen. Insofern nimmt diese “Nerdigkeit” auch zu, je höher die Ebene ist. In einem Fachschaftsrat sind vielleicht Leute, die nicht so das Interesse haben, sich mit diesen formellen und sehr bürokratischen Prozessen auseinanderzusetzen. Je höher die Stufe geht, desto mehr nimmt die Bereitschaft und das Interesse zu, mit solchen Dingen Zeit zu verbringen. Irgendein politisches Interesse gibt es eigentlich immer. Es gibt konservative Ansichten, aber auch progressive Ansichten. Da sind dann verschiedene Leute dabei. Verhältnismäßig ist zum Beispiel der fzs ein linker und progressiver Verband. 


Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen euch als Studierendenvertretung und den politischen Institutionen?  


Auf der politischen Ebene werden Studierende viel zu wenig gehört. Das ist ein bundesweites Phänomen, dass Studierende als Statusgruppe nie so viel Mitspracherecht haben wie alle anderen Statusgruppen. Das ist politisch so gewollt, bewusst entschieden und umgesetzt. Im globalen und europäischen Vergleich bin ich mir aber sehr bewusst darüber, dass wir im Verhältnis hier nicht allzu schlechte Bedingungen haben. Wir haben hier eine gesetzlich geregelte Mitsprache: Das ist auf jeden Fall total gut und wichtig. Oft ist es hier aber so, dass man auf Gesetze verwiesen wird und gesagt wird: “Das Gesetz regelt das und sieht das so vor. Wir können gar nicht anders.” Ich glaube, da fehlt der politische Wille. Das spornt mich an, dass ich da hinterher bin und mich für mehr Möglichkeiten einsetze.


Gehört der Part der politischen Auseinandersetzung dann auch zum schwierigsten Teil deiner Arbeit? 


Ja, voll. Das Problem ist, dass Studierende nicht ernst genommen werden. Sowohl von der Politik als auch von der Hochschule. Oftmals werden Studierende auf allen Ebenen belächelt, wenn sie ihre Interessen auspacken oder sich einbringen. Wenn wir uns mit Politiker:innen zu Themen unterhalten und studentische Problemlagen erklären und dann auch Forderungen einbringen, dann habe ich schon oft erlebt, dass man uns dann erklären will, wie es eigentlich funktioniert. Das ist kein Fall von Augenhöhe. 


Du hast erwähnt, dass du dir mehr studentischen Widerstand an Universitäten und Hochschulen wünschst. Wie kann man seine Stimme als Student:in am besten einbringen?  


Das hängt davon ab, was man bezwecken möchte. Beschweren wäre schon einmal ein Anfang, um seinen Unmut kundzutun. Ich finde es sehr wichtig, Kritik auch immer zu äußern. Eine andere Möglichkeit ist der zivile Ungehorsam. Es gab im letzten Jahr viele Hörsaalbesetzungen, bei denen beispielsweise ein Studiengang gestrichen werden sollte, der sehr beliebt war. Man muss natürlich nicht immer den Hörsaal besetzen, aber ich glaube, man kann da sehr kreativ werden. Man kann auch eine Plakataktion an der Hochschule starten. Wichtig ist, dass Studierende sich miteinander organisieren und gemeinsam in Aktion treten, damit steht und fällt alles.


Im Kern setzt du dich für die Interessen aller Studierenden ein. Wünscht du dir deshalb auch mehr Interesse von den Studierenden für deine Arbeit? 


Von den Leuten, die uns sehen, bekommen wir schon recht viel Zuspruch und Anerkennung. Es gibt aber auch Leute oder Politiker:innen, die uns nicht ernst nehmen. Das ist durchaus sehr enttäuschend, das immer mal wieder zu erleben. Da ist oft ein großer Unterschied zwischen den Studierenden, die uns wahrnehmen und der Verwaltung oder Hochschulleitungen, die uns wahrnehmen.


Autor: Christoph Pfeiffer

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